Gedanken zum Buch von Hans-Peter Dürr „Auch die Wissenschaft spricht nur in Gleichnissen. Die neue Beziehung zwischen Religion und Naturwissenschaften“.
Materie. Energie. Potenzialität
Hans-Peter Dürr
Die Anschauungen der Quantenphysiker brechen mit der traditionellen Auffassung der sogenannten exakten Wissenschaft, dass es immer eine klare „ja oder nein“ Entscheidung gebe. Ausgangspunkt der Quantenphysik ist das „sowohl als auch“.
Meine Konsequenzen für wissenschaftliches Arbeiten
Versuchsreihen, die reroduzierbare exakt voraussagbare Ergebnisse liefern können, müssen sehr einfach sein und nur wenige Faktoren einbeziehen. Aus solchen Versuchsreihen abgeleitete gesicherte Voraussagen sind für den praktischen Lebensvollzug in der Regel irrelevant, weil der Lebensvollzug von einer unüberblickbar grossen Anzahl von Faktoren mitgeprägt wird, die in keiner Versuchreihe berücksichtigt werden kann. Im Ein-Ganzen ist der Betrachter auch Teil des zu Betrachtenden. Das zu Betrachtende existiert nicht unabhängig vom Betrachter. Wenn sich durch das Bewusstsein des Betrachters dessen Betrachtungsmuster ändert, ändert sich auch das zu Betrachtende. Quantenphysiker zeigen, dass dies auch in der Naturwissenschaft gilt. Es gilt noch offensichtlicher in der Geisteswissenschaft, wo der Gegenstand der betrachtet wird ein Produkt des Betrachters ist. In meiner Akzessarbeit 1993 habe ich dazu folgendes geschrieben: „Konzentrisches Wachstum ist eine wesentliche Eigentümlichkeit geisteswissenschaftlicher Arbeit. Durch die wissenschaftliche Arbeit verändern sich nicht nur die Erkenntnisvoraussetzungen und das Erkenntnisinteresse des forschenden Subjekts, sondern, und zwar viel entscheidender als in der Naturwissenschaft, auch der Forschungsgegenstand selbst, denn dieser ist ja letztlich ein Produkt des forschenden Subjekts.“ (Hans Schneider, Die Taufe - Ringen um den verlorenen Sinn - Vom Klischee zum Symbol, Seite 13)
Das Leben
Die Entropie, ein Mass der Unordnung nimmt im Laufe der Zeit immer zu. In Zukunft passiert das Wahrscheinlichere wahrscheinlicher. Durch Wechselwirkung gerät ein differenziertes System langfristig in Unordnung. Wenn man nichts dagegen tut, wird der Schreibtisch zunehmend unordentlicher. Lebendige Systeme verhalten sich entgegengesetzt. Lebendige Fische Schwimmen gegen den Strom. Das Leben geht einen Weg vom wahrscheinlichen zum Unwahrscheinlichen. Dazu braucht es Energie und unterscheidende Intelligenz. Pendel Die Bewegung eines Pendels ist normalerweise voraussagbar. Es schwingt hin und her, bis es unten zur Ruhe kommt. Es gibt einen einzigen Punkt, der Chaospunkt, wo die Bewegung nicht mehr voraussagbar ist. Im Chaospunkt steht das Pendel senkrecht nach oben. Erschütterungen, Wärmeausdehnung des Materials, Änderung der Gravitationskraft und unzähligen anderen Faktoren werden bestimmen, auf welche Seite sich das Pendel bewegen wird. Hier werden so viele Faktoren relevant, dass diese nicht mehr überblickt und bewertet werden können und eine Voraussage der Bewegung deshalb nicht möglich ist. Stabile Gleichgewichtslagen sind nicht lebendig. Lebendiges beruht auf Instabilitäten und es besteht eine sensible Offenheit, eine Offenheit durch feine Einflüsse in eine neue, unerwartete, unwahrscheinliche Bewegung zu kommen. Die statische Instabilität des Lebens wird dynamisch stabilisiert. Für diese Bewegung braucht es Energie, Energie von der Sonne. „Es ist dieser ständige Eintrag an arbeitsfähiger Energie, der die Biosphäre vom Unbelebten unterscheidet.“ (55) Im Strahlungsfeld der Sonne entsteht die Bewegung zum Unwahrscheinlichen hin. H.P. Dürr scheint es unmöglich, dass das differenzierte Leben in 3,5 Milliarden Jahren nach der Würfelmethode, nach Versuch und Irrtum aus der Ursuppe hervorgegangen sein könnte. Beziehungsmöglichkeiten: Bei zwei Elementen gibt es zwei Beziehungsmöglichkeiten. Bei drei Elementen bereits acht. Bei 24 Elementen ergibt sich bereits die unvorstellbare Zahl von 10 hoch 83. Die Qualitäten eines komplexen Systems gehen verloren, wenn Teile heraus nimmt. Die traditionelle Naturwissenschaft wird bei der Untersuchung von Teilen, nicht finden können, was sie eigentlich am Ganzen erkennen und verstehen wollte. Die Qualität des Ganzen zeigt sich am Teil nicht mehr. Die Wirklichkeit, das Biosystem ist ein verwobenes Ganzes. Der Versuch, sich abzugrenzen und von Umwelt zu sprechen bildet den Nährboden für die ökologische Krise. Die Urknalltheorie ist mechanistisch deterministisch und führt nicht zum Verständnis des Lebendigen. „Der Mensch, wie die übrige Natur, ist im Grunde kreativ, die Wirklichkeit in ihrer zukünftigen Entwicklung wesentlich offen.“ (64) Das Leben ist nicht festgelegt. „Also gerade dort, wo wir uns am unsichersten fühlen, sind wir am lebendigsten und auch am kreativsten.“ (65) Nur die Instabilität ermöglicht geistiges Erfassen der Wirklichkeit. „Die Sensibilität, mit der wir die Wirklichkeit geistig erfassen, wird durch Instabilität erkauft. Im Gegensatz dazu: Wenn wir im stabilen Grundzustand sind, passiert uns nichts, hier sind wir sicher, aber das Geistige könnte sich in uns kein Gehör mehr verschaffen, die Welt der Ahnungen und Gedanken wäre verschüttet, denn alles Lebendige mit seiner Offenheit, Kreativität, mit Geist und Seele würde in diesem Fall sozusagen weggemittelt, verrauscht und zerflimmert. (66) Das Geistige zeigt sich z.B. im Schreiben intelligenter Artikel oder Gedichten. Die sinnvolle Anordnung der Buchstaben zu Wörtern und Sätzen kann nicht zufällig gewürfelt entstehen.
Kommunikation. Gesellschaft
Ich habe mich nach einigen Seiten gefragt, was der Text mit Kommunikation zu tun hat. Und erst da habe ich realisiert, dass der Titel zum Kapitel „Kommunikation. Gesellschaft“ heisst. Und es geht dann in diesem Kapitel vorallem über die Vorstellungen, die Hans-Peter Dürr sich über die Gesellschaftsordnung macht. Die Gedanken sind vor allem Gleichnisse, Glaubensvorstellungen und können meistens nur mit Dürrs Stimmikeitskriterium beurteilt werden. Kommunikation ist eigentlich Kommunion. Alle Menschen sind verwurzelt im gemeinsamen Urgrund und haben dort Zugang zu den Erfahrungen und Möglichkeiten, die in einem langen Evolutionsprozess gewachsen sind. Lebensrelevante Einsichten und Zusammenhänge sind in der Regel nicht durch eine Doppelblindstudie zu verifizieren. „Es ist also in diesem Fall nötig, mit andern „Wahrheitskriterien“ zu operieren, oder vielleicht sollte man besser sagen, nur noch mit „Stimmigkeitskriterien“ zu arbeiten. (73) Intersubjektive Stimmigkeit könnte helfen, dass man nicht vom Extrem des naturwissenschaftlichen Wahrheitsanspruch ins andere Extrem von Willkür und Beliebigkeit abgleitet. Die heutige Gesellschaft ist geprägt vom Prinzip „schnell, viel, billig“. Bis vor der Bankenkrise applaudierte man jenen, die Wege zu möglichst schnellem, maximalem Gewinn fanden. Aber echter Aufstieg, Entwicklung, Evolution, Wertschöpfung brauchen Zeit. Es ist wie im Bergsteigen. Nur Abstürzen geht schnell. Der Aufstieg braucht Kraft und viele intelligente Entscheidungen um unter Berücksichtigung der natürlichen Gegebenheiten einen gangbaren Weg zu finden. Die Presse kommentiert aber lieber Abstürze. Aufstiege sind zu unspektakulär. Applaus bekommen jene, die mit wenig Aufwand eine Lawine lostreten, die dann zur Katastrophe führt. „Ein Baum der Fällt macht mehr Krach als ein Wald, der wächst. (tibetanische Weisheit) Die heutige Gesellschaft lebt auf Pump und verbraucht in kurzer Zeit Vorräte, die in Millionen von Jahren entstanden sind. Wir können in Zukunft den energieaufwändigen Lebensstandard nicht halten. Die fossilen Brennstoffe gehen zur Neige. Die Frage der Endlagerung radioaktiver Abfälle ist noch ungelöst. Und überhaupt wird das Biosystem unter unserer Überaktivität zusammenbrechen. Nebst den sechs Milliarden Menschen, die die Erde bevölkern, malochen auf ihr noch ca. 130 Milliarden Energiesklaven. Für jeden Amerikaner arbeiten 110 Energiesklaven, für jenden Europäer 60 und für jeden Chinesen 8. Im wirklichen Leben gibt es nicht genau festgelegte Ziele wie etwa in einem 100-Meter-Lauf. Weil wir nicht genau sagen können, wer am besten geeignet sein wird, in Zukunft die jetzt noch undeutlichen Ziele zu erreichen, brauchen wir eine möglichst grosse Differenzierung. Nicht Wettkampf, sondern die gemeinsame Suche nach Lösungen sichert uns das Leben und das Überleben. Gute Zusammenarbeit gleicht einem Plussummenspiel, einer Winwin-Situation. Die möglichst differenzierten Individuen müssen immer wieder auf einer neuen Ebene zusammenfinden und zusammenhalten. Es ist heute wichtig, den Unterschied zwischen einem Roboter und einem Menschen deutlich zu machen. Der Roboter funktioniert nach eindeutig festgelegten Regeln. Menschen hingegen sind nicht determiniert, sie sind als spirituelle Wesen zukunftstoffen und finden Wege und Lösungen die jetzt noch nicht festgelegt sind. Computer sind schnell, genau und haben ein gutes Gedächtnis. Menschen sind fehlertolerant, erkennen Zusammenhänge und können sich auf das Wesentliche konzentrieren. Sie können schnelle in der Fülle von Information das lebensrelevante erkennen. Computer hingegen halten schon zwei identische Texte für unterschiedlich, wenn in einem ein Komma fehlt. Um die Zukunft zu meistern, müssen wir Menschen nicht alles lehren. Wir müssen sie nur an das erinnern, was sie ahnen.
Ahnung. Religion
Die Aufklärung war geeignet durch wissenschaftliche Argumente die religiöse Bevormundung zu überwinden. Aber die Wissenschaft kann viele Fragen nicht beantworten. Insbesondere ist klar, dass in wissenschaftlicher Weise nur untergeordnete Systeme beurteilt und bewertet werden können. Diese Grenzen sind den Wissenschaftlern nicht immer bewusst. Im Gegenteil, manchmal verhalten sich die Wissenschaftler so wie früher die Inquisitoren. Alles, was nicht wissenschaftlich bewertet werden kann, wird verteufelt. Das wissenschaftliche, analytische Ja-Nein-, Entweder-Oder-Bewusstsein und das mystische Einheitsbewusstsein ergänzen sich und schliessen sich gleichzeitig aus. Die Aussenansicht ist nur durch die Trennung von Beobachter und dem Beobachteten möglich. Dagegen ist „die „Innensicht“, oder besser fliessend: das Innensehen, oder (als Verb) „innen sehen“, das dem Wesen nach immer holistisch ist, wo a-dual das Wahrnehmende auch gleichzeitig das Wahrgenommenen ungetrennte Eine ist. Erfahrung bedeutet beides: Aussenansicht und Innensehen.“ (95) In der abendländischen Geschichte stehen die beiden unterschiedlichen Grundhaltungen der Aussenansicht und Innensicht in einem fruchtbaren Wechselspiel. Die Aussenansicht entspricht dem Wissen, die Innensicht dem Glauben. Nach der Aufklärung ist die wissenschaftliche Aussenansicht verabsolutiert worden. „Doch auch die äussere Erfahrung ist letztlich wieder nur als inneres Erfahren, durch spontane Evidenz spürbar.“ (95) Durch die Hingabe an das zu Betrachtende verwandelt sich Kommunikation zur Kommunion. Unser analytisches, trennendes Bewusstsein ist sehr begrenzt: So können wir beispielsweise nur eine Oktave dessen wahrnehmen, was heute mit verschiedenen Instrumenten wahrgenommen werden kann (Ultraschall, Ultraviolett, Infrarot, elektromagnetische Wellen usw.). Wir können uns nicht einmal vierdimensionale Körper vorstellen und Gott und alles Unbegreifliche sind weitaus unverständlicher als diese. Wirks, bzw. Passierchen haben Dauer, allerdings wesentlich kürzer als die Dauer eines Augenblicks (die Zeitspanne des geöffneten Auges zwischen zwei Benetzungen). „Die Zukunft im Gegensatz zur manifestierten Gegenwart und zur durch materielle Dokumente ausgewiesenen Vergangenheit existiert nur als Möglichkeit.“ (107) „Die Frage ist nun: Haben wir Menschen ein Organ, das uns erlaubt langfristige Konsequenzen zu erfassen und das uns Einsichten eröffnet, die weit über unser eigenes Leben hinaus für uns von Nutzen sind: für die Zukunftsfähigkeit der Menschheit, für die ganze Schöpfung in ihrer grandiosen Dynamik? Wir erkennen: Hier brauchen wir Orientierungswissen und Weisheit, die sich auf Wissen und Glauben stützen. Glaube bezieht sich hierbei nicht einfach auf das Nochnicht-Gewusste, sondern umfasst wesentlich das nur zu Ahnende, prinzipiell Unbegreifliche. Dieser Glaube ist kein von uns beliebiges, ohne tieferen Grund errichtetes Konstrukt. Er beruht für uns alle darauf, dass wir als Beteiligte der Wirklichkeit durch Innensehen die Möglichkeiten des Zukünftigen anders ausloten, als es uns als vermeintlich äusseren Beobachtern und Handelnden möglich ist, als welche wir eher versuchen, die Wirklichkeit zu behersschen.“ (107,108) Zur Verständigung bezüglich unserer „richtigen“ Handlungen (Ethik) braucht es ein gemeinsames Bewusstseinsfeld zu dem wir mittels Ahnung und Intuition Zugang haben. Aber auch die auf Wissen und Ahnung gegründete ausformulierte Ethik lässt widersprüchliche Interpretationen zu. Es kann also keine abschliessend gültige Kasualethik geben. Lebensdienliche Ethik ist Situationsethik. Den genau gleichen Fall gibt es nicht zweimal. „Um die Welt zu verstehen, sollten wir nicht greifen, sondern wir sollten eigentlich mehr die Arme ausbreiten und unsere Hände öffnen, um die Welt zu „empfangen“. In dem Augenblick, wo wir begreifen, würgen wir ab, was wir eigentlich fassen wollen. Denn das Wesentliche der Welt ist das „Dazwischen“.“ (109,110) Menschen des 21. Jahrhunderts durchleben aber diesbezüglich zwei Krisen: Uns fehlt oft die unmittelbare Erfahrung des Zugangs zum Transzendenten. Im materiellen Überfluss entsteht ein Hunger nach Geistigem, der uns nicht bewusst ist. Das Geistige ist aber entscheidend, damit der homo sapiens sapiens seiner Stellung als entwicklungsfähige Krönung der Schöpfung gerecht werden kann und nicht zum homo oeconomicus degeneriert. Die Einsicht, dass das naturwissenschaftliche Wissen begrenzt ist, fordert geradezu Offenheit für Religion. Die Religion verliert aber ihr Kraft, wenn sie ihre Metaphern naturwissenschaftlich eindeutig begreifbar auslegen will. „Nimms bitte nicht wörtlich“ (112) Beide, Physik und Religion, brauchen nämlich eine metaphorische Sprechweise um wesentliches sagen zu können. „Wenn ich im Zustand der Ahnung bin, gibt es keine Polarisierung des Entweder/Oder. In der Ahnung kann ich nicht sprechen und urteilen. Ich schaue nur ein eine Landschaft von gewichteten Möglichkeiten. Und diese Ahnung, die ein Zusammenschauen und nicht ein Nebeneianderdenken von allen Möglichkeiten ist, suche ich später dann wieder zu wecken“ (112) in metaphorischer Sprechweise. „Nicht nur die Religionen müssen Gleichnisse benutzen, um etwas du deuten, das im Hintergrund nicht begreifbar ist. Auch die Wissenschaft ist nur ein Gleichnis, auch die wissenschaftliche Sprache ist nur eine Gleichnissprache.“ (114) „Gleichnisse sind wie kurze Tonfolgen, die plötzlich in uns vergessene altbekannte Lieder erklingen lassen.“ (115) Wissenschaft und Religion gehören zusammen und haben je ihre Bedeutung und Berechtigung: Die Wissenschaft repräsentiert Exaktheit, die Religion Relevanz.
Abschliessendes Gespräch
„Die wesentliche Freiheit des Menschen scheint darin zu liegen, seine Wahrnehmungsfähigkeit gezielt verändern zu können.“ (122) Um handeln zu können, müssen bestimmte Sensibilitäten blockiert werden. Es braucht eine bewusst selektive Wahrnehmung. „Wenn wir auf alles reagieren, ertrinken wir in einer Informationsflut.“ (123) Nur wenn ich mich beschränke, bin ich handlungsfähig. Die Einschränkung der Sesiblität beschränkt unseren Horizont und den Überblick. Die wirklich Weisen werden wahrscheinlich deshalb sagen: „Wenn du handelst, mach kleine Schritte! Die verantwortliche Nutzung der Willensfreiheit heisst: Kleine Schritte machen und abwarten, wie es ich im Verbund entwickelt!“ (143,144) Leben braucht Kreativität, um sich dem Wahrscheinlichen zu widersetzen und einen Weg zum Unwahrscheinlichen hin zu gehen. „Ein Mensch, der schon sehr viele Gewohnheiten hat, ist nicht mehr so kreativ. Man könnte sagen, er hat sich (das ist nicht abwertend gemeint), fast wie ein Tier, einen Instinkt antrainiert. Und deshalb wird er dann auch wieder „abgeschafft“ - er stirbt. Denn er hat eine wichtige Fähigkeit, nämlich lernfähig zu sein, verloren. Deshalb lässt die Evolution dieses System auslaufen und fängt wieder von vorne an mit einem Baby, das dann die Lernkurve ein bisschen weiter treibt. Die Natur sagt einfach: Der Alte hat mir viel zu viele Dämpfer, die kriegt er nicht mehr runter. Er will sich an das Klammern, was er weiss. Gut, satgt die Natur, dann stirb mal mit deinen Dämpfern! Aber das ist nicht so schlimm, weil das, was er geistig in den Lebensproszess hineingebracht hat, sowieso zum Nutzen aller „deponiert“ ist…Ein Laptop, der zu alt geworden ist, den schmeisse ich einfach weg und lege mir einen neuen zu, ohne dass ich Angst haben muss, dass die wertvolle Software dabei verloren geht.“ (126,127) Das Lebensspiel ist ein Lernen. Konstruktive Elemente werden für alle erreichbar gespeichert in einem gemeinsamen Hintergrundsfeld, in einem kollektiven Unbewussten (so hat es C.G. Jung genannt). “…in uns und wohl in allem Lebendigen steckt ein Wille, der dem Lebenden eigen ist, nämlich meistern zu wollen, was unwahrscheinlich ist.“ (135) Kreativität ist wie eine Infektion ein Störefried der eingespielten Ordnung. Eine solche Störung führt nicht zwangsläufig zu einer verehrenden Schädigung des Systems. Sondern,…„sie kann durch Heilung zu etwas Besserem führen, zu einer höheren Stufe der Evolution.“ (136) „Der Zustand der grössten Unsicherheit ist gleichzeitig Augenblick der grössten Freiheit. Er ermöglicht uns, zugleich die grösste Nähe zu unserer Einmaligkeit.“ (158) Möglicherweise erleben wir deshalb immer wieder Schmerzen, weil wir uns gegen Veränderung, gegen den Tod vertrauter Stabilitäten wehren. Eine Ahnung, die aus dem gemeinsamen Hintergrundsfeld kommt, ist nicht definitiv, abgeschlossen. Sie lebt mit Instabilitäten. Im Gegensatz zu einer Ahnung ist eine Ideologie an ihrer abgeschlossenen, rationalen Stabilität zu erkennen. „Wenn man die Objektivierung als Wahrheitskriterium verliert, dann entsteht zwar immer wieder die grosse Gefahr der Beliebigkeit und Willkür. Aber in einem intensiven Dialog lassen sich schon Stimmigkeiten und Unstimmigkeiten ausmachen, denen allerdings klarerweise die absolute Schärfe fehlt. Aber das ist kein Mangel, sondern es ist genau das Geschenk, das wir brauchen, immer wieder zu sagen: so oder ähnlich, aber nicht beliebig oder willkürlich.“ (142) Es ist für das Finden von Stimmigkeit besser, Geschichten zu erzählen als Tatsachen aufzuzählen. Auf die Sinnfrage des Untersystems für eben dieses Untersystem gibt es keine Antwort. Die Sinnhaftigkeit kommt aus der Beziehung zum Ganzen. Auch dort, wo ich den Sinn nicht sehe, muss ich ihn nicht in Abrede stellen. Ich bin Teil des Ganzen und dies ist auch die Quelle der Hoffnung: …„diese Hoffnung hat keinen konkreten Inhalt. Hoffnung heisst hier einfach: Es gibt in Zukunft Lösungen, an die ich im Augenblick nicht denke. Wenn alles, was ich mir rational überlegt habe, nicht geht, dann kann ich mir sagen: Du bist ja ein einem Kosmos, der jenen Augenblick neue Möglichkeiten schafft.“ (148)